Gewalt am Arbeitsplatz ist ein Phänomen, vor dem man sich nicht wegducken darf. Als soziale Ereignis ist sie schwer vorhersehbar. In der Statistik der gesetzlichen Unfallversicherer schlagen für den Berichtszeitraum des Jahres 2015 16.000 Fälle zu buche, die auf Gewalterfahrung bei abhängig Beschäftigten zurückzuführen sind. Zu beachten ist, dass in diese Statistik nur meldepflichtige Ereignisse Eingang finden, denen eine Abwesenheit von drei Tagen zugrunde liegen. Gewalt beginnt aber nicht erst bei der körperlichen Auseinandersetzung, sondern schon im psychischen Bereich, daher ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer weit höher anzusetzen ist. Die Erfassung der Zahlen gestaltet sich schwierig, da körperliche Verletzungen leichter zu dokumentieren sind als psychische. Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) klassifiziert Gewalt in drei Kategorien: „unhöfliches Verhalten“, „verbale und körperliche Gewalt“ sowie „Überfälle und Übergriffe Dritter“. Hier manifestiert sich, dass es verschiedene Formen und Eskalationsstufen von Gewalt gibt, die aber ausnahmslos alle ernst genommen werden müssen, um durch Duldung keine Negativspirale entstehen zu lassen. Wie kann man sich dem abstrakten Gebilde Gewalt, welches nur auf den ersten, flüchtigen Blick simpel erscheint, nähern? Die Internationale Arbeitsagentur definiert Gewalt am Arbeitsplatz als „jede Handlung, Begebenheit, oder von angemessenem Benehmen abweichendes Verhalten, wodurch eine Person im Verlauf oder in direkter Folge ihrer Arbeit schwer beleidigt, bedroht, verletzt, verwundet wird.“
Die Art der Tätigkeit hat massiven Einfluss auf die Betroffenheit von Gewalt am Arbeitsplatz. Hat der Beschäftigte Umgang mit Wertgegenständen bzw. Bargeld (Bank oder Tankstelle), arbeitet alleine (Taxi), übt eine Autoritätsfunktion aus (Polizei oder Kontrolleur) oder kommt in Kontakt mit gewaltbereiten Personengruppen (Krankenhaus) ist das Risiko ungemein höher. Die Berufsgenossenschaft für Gesundheit und Wohlfahrtspflege (BGW) und das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) befragten in den Jahren 2008 und 2009 zweitausend Beschäftigte, wonach 56 Prozent angaben in den letzten zwölf Monaten körperliche sowie 78 Prozent verbale Gewalt erlebt zu haben. In der Branche ÖPNV / Bahnen geht jeder zehnte Arbeitsunfall auf den Übergriff eines Dritten zurück. Und auch in diesem Fall wurden nur die Ereignisse erfasst, die einen Arbeitsausfall von drei Tagen zur Folge hatten. Werden Beschäftigte auf den Umgang mit Gewalt vorbereitet sinkt das Risiko.
Gewaltprävention und der richtige Umgang mit Ereignissen sind Themen des Arbeitsschutzes. Es gilt Gewaltvorfälle zu verhindern und Aggressivität zu reduzieren. Die Beschäftigten müssen des Weiteren wissen, wie sie sich bei Gewaltereignissen verhalten sollen und wie Hilfe danach erfolgt. Die Möglichkeiten hierzu sind vielfältig. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) empfiehlt auch hier die Anwendung des TOP-Prinzips:
- Technische Maßnahmen
- Organisatorische Maßnahmen
- Personenbezogene Maßnahmen
Sie erweitern das TOP-Prinzip um bauliche Maßnahmen.
Bauliche Maßnahmen können beispielsweise durch ausreichende Beleuchtung von Parkplätzen und Fluren umgesetzt werden. Zu den technischen Maßnahmen sind Zugangskontrollen, Überwachungs- und Alarmierungssysteme zu rechnen. Zu den organisatorischen Maßnahmen zählen das Vermeiden von Alleinarbeitsplätzen, kundenfreundliche Abläufe, geringe Bargeldbestände, Sicherung von gefährlichen Gegenständen sowie die Ausarbeitung von Notfallplänen. Die Unterweisung und Fortbildung von Beschäftigten sowie die Superversion nach einem Ereignis sind personenbezogene Maßnahmen. Natürlich sind obige Nennungen nur beispielhaft und die Listen lassen sich stark erweitern. Auf diese Thematik wird von den Fachkräften für Arbeitssicherheit immer wieder hingewiesen, so dass es nicht bei Willensbekundungen alleine bleibt. Oftmals sind ganz banale Vorfälle ursächlich für einen Gewaltausbruch – die Gewaltbereitschaft, das zeigen die Kriminalstatistiken, steigt in der Gesellschaft. Im ÖPNV reicht mitunter schon eine simple Verspätung als Auslöser für aggressives Verhalten. Die VBG schult anhand des 3-D-Ansatzes: „Davor“, „Darin“ und „Danach“.
Im „Davor“-Modul werden die Phasen vor dem Auftreten eines Ereignisses beleuchtet und Stressbewältigungsstrategien vermittelt. Es geht auch um Selbstwahrnehmung und Selbstinstruktion. Das Verhalten innerhalb des Konfliktes wird im Modul „Darin“ vermittelt. Hier gehst es um Kommunikation, Agieren in einer Gruppe und Konfliktbewältigung. Zur konstruktiven Gestaltung der Zeit nach einem Konflikt soll das „Danach“-Modul dienen. Distanzierungs- und Entspannungstechniken werden ebenso wie die Stressbewältigung geschult. Da hiermit auch die Prävention neuer Konflikte thematisiert wird, schließt sich der Kreis.
Leider muss man konstatieren, dass Gewalt am Arbeitsplatz manchmal zum Geschäft gehört – hier müssen aber Strategien zum Schutz des Arbeitnehmers entwickelt werden und auch greifen. Die Fachkräfte für Arbeitssicherheit leisten einen wichtigen Beitrag für den richtigen Umgang bei Gewalt am Arbeitsplatz. In besonderen Fällen gilt es die Beraterrolle zu verlassen und aktiv einzugreifen.